Von Kilometern, Liedern und Steuerchaos

Wenn Menschen an Musiker:innen denken, sehen sie meistens das Rampenlicht, den Applaus, die funkelnde Energie eines Konzerts. Für mich sind diese Momente unbeschreiblich schön, aber sie machen nur einen kleinen Teil meines Musikerinnenlebens aus. Hinter den 100 Minuten auf der Bühne liegt ein Alltag, der bunt, herausfordernd und manchmal auch anstrengend ist. Und genau dieser Alltag ist es, der meine Musik trägt.

Oft beginnt er schon mit der Fahrt zu den Proben. Meistens treffe ich meine Band in Mainz oder Fürth, was bedeutet, dass ich vorher eineinhalb Stunden im Auto sitze. Doch sobald ich angekommen bin, verschwindet die Müdigkeit. Wir spielen, feilen an Details, probieren Neues aus, diskutieren auch mal und lachen viel. Nach den Proben setzen wir uns zusammen, kochen etwas, essen, tauschen uns aus. Aus diesen Stunden nehme ich nicht nur musikalische Impulse mit, sondern auch die Nähe und das Vertrauen, die wir füreinander haben. Sie sind das Fundament, auf dem später unser gemeinsamer Klang wächst.

Nicht nur für Proben, auch für Konzerte bin ich viel unterwegs. Deutschlandweit fahren wir von Bühne zu Bühne. Es sind viele Kilometer auf der Autobahn, Wartezeiten auf Bahnhöfen, Pausen an Raststätten, manchmal zähe Stunden im Stau. Doch auch diese Reisen gehören dazu. Für mich sind sie zwar manchmal mühsam, doch vor allem bringen sie mich an neue Orte, öffnen Türen und lassen mich Menschen begegnen, die ich ohne die Musik nie getroffen hätte. Jedes Ankommen ist verbunden mit der Aufregung, eine neue Stadt kennenzulernen, der Spannung, wie die Bühne klingen wird, auf der ich gleich stehen darf, und der Neugier, wer sich hinter dem netten Kontakt verbirgt, der bisher meist nur online stattgefunden hat

Wenn ich wieder zuhause bin, zieht es mich oft ins Songwriting. Was ich unterwegs erlebe, inspiriert mich. Schreiben ist für mich ein intimer Prozess, ein Gespräch mit mir selbst. Am liebsten tue ich das allein. Manchmal entstehen zuerst Worte, die ich anschließend in Musik hülle, manchmal ist es umgekehrt. Eine Melodie weckt ein Gefühl, dem später ein Text Gestalt gibt. So entstehen Lieder, die ein Stück meiner eigenen Geschichte in sich tragen.

Üben gehört zum Sängerinsein und für mich meist mit Blick auf die nächsten Konzerte. Wenn gerade nichts ansteht, gehe ich es auch gern  mal ruhiger an. Unverzichtbar sind jedoch meine regelmäßigen Gesangsstunden. Diese Zeit ist meine persönliche Auszeit, ein Geschenk nur für mich. Dort entdecke ich immer wieder neue Facetten meiner Stimme und damit auch Seiten an mir selbst. Für mich ist das nicht nur lehrreich, sondern ein unfassbar wichtiger Ausgleich. Unterricht bedeutet für mich Me-Time, zwei Stunden, in denen nichts muss, sondern einfach sein darf.

Neben meinem eigenen Lernen liebe ich es, Wissen weiterzugeben. Unterrichten ist für mich keine Pflicht, sondern Freude und meistens super viel Spaß. Über die Jahre habe ich mir das nötige Handwerk erarbeitet, um andere gut begleiten zu können. Als funktionale Vocal Coach zu arbeiten finde ich super spannend, weil ich erleben darf, wie Stimmen wachsen und Schüler:innen mutiger werden. Es erfüllt mich, wenn dieser Funke überspringt und Musik etwas Neues in ihnen öffnet. Während meiner vierjährigen CRT-Ausbildung am Rabine-Institut und auch danach stand das Unterrichten im Mittelpunkt. Heute spüre ich deutlich, dass mein Herz wieder mehr auf die Bühne gehört.“

Und dann gibt es noch die Seiten des Musikerinnenlebens, die ich mache, weil ich muss :-). Stunden am Schreibtisch, in denen ich E-Mails schreibe, Anfragen beantworte, Verträge prüfe und Angebote schreibe. Büroarbeit ist nicht das, wofür ich diesen Beruf gewählt habe, aber sie ist blöderweise nötig. Und wenn dann die Steuer ansteht, wird es nicht nur für mich, sondern auch für alle in meinem direkten Umfeld noch schlimmer. Ich bin sonst selten schlecht gelaunt, doch in dieser Zeit sollte man mir besser nicht in die Quere kommen. Zahlen sind einfach nicht mein Element, und selten läuft alles reibungslos. Wenn ich irgendwann einmal in den Genuss komme, Geld übrig zu haben, ist das das Erste, was ausgelagert wird.

Ein weiterer Teil, an den ich mich gerade herantaste, ist die Öffentlichkeitsarbeit. Mich selbst zu vermarkten, fällt mir schwer. Fotos, Social Media, Newsletter. All das ist für mich noch eine Baustelle. Aber ich weiß, wie wichtig Sichtbarkeit ist, damit meine Musik überhaupt gehört wird. Umso wohler fühle ich mich, wenn ich direkt mit Menschen sprechen kann. Ich liebe es, mich auszutauschen, von den Erfahrungen anderer zu lernen und meine eigenen weiterzugeben. Persönliche Begegnungen sind für mich Gold wert, während Kaltakquise mir schwerfällt. Doch jedes Gespräch von Mensch zu Mensch schenkt mir neue Kraft.

Um meinen Alltag zu meistern, plane ich bewusst Me-Time ein. Ich achte darauf, genug zu schlafen, ausreichend zu trinken und Zeit mit meinen Freund:innen zu verbringen. Mal gelingt das besser, mal weniger gut. Besonders gut tut mir das Schwimmen, das mich ins Gleichgewicht bringt, ebenso wie der Unterricht, den ich mir selbst gönne. All diese Momente helfen mir, aufzutanken und die verschiedenen Facetten des Sängerinnenlebens ausgeglichen zu leben.

Was mich immer wieder herausfordert, ist das Warten. Ich bin ungeduldig und finde es schwer, lange auf Antworten zu warten, ohne zu wissen, ob ich nerve oder längst vergessen bin. Diese feine Linie taste ich noch aus. Wirkliche Zweifel, ob ich gut genug bin, habe ich so nicht mehr. Ich weiß, was ich kann. Doch manchmal frage ich mich, ob wir als Band ins Programm passen, ob wir zu unbekannt sind, ob Veranstalter:innen Angst haben, dass wir nicht genug Publikum anziehen. Es sind andere Arten von Zweifeln, die mich begleiten, subtiler, aber dennoch spürbar.

Und schließlich gibt es noch eine Aufgabe, die mir besonders am Herzen liegt: mein ehrenamtliches Engagement. Viele Bühnen gäbe es ohne die Arbeit im Hintergrund nicht. Menschen, die ihre Zeit und Energie schenken, damit Kultur überhaupt stattfinden kann. Für mich ist es selbstverständlich, einen Teil dazu beizutragen. Ich möchte Musik machen, erleben und genießen, also tue ich auch etwas dafür, dass es diese Räume gibt.

Musikerin zu sein bedeutet für mich weit mehr, als auf Bühnen zu stehen, auch wenn ich zugeben muss, dass genau dieser Moment für mich der schönste ist. Es bedeutet, viel unterwegs zu sein, zu lernen, zu lehren, zu zweifeln, zu planen, zu hoffen und immer wieder aufzustehen. Es bedeutet, Räume zu schaffen, in denen Musik Menschen verbindet, und gleichzeitig in all diesen Facetten mich selbst zu leben, mit jeder Note, jeder Pause und jedem Atemzug.

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